Filmtipp: Alles steht Kopf

Wie Emotionen unser Verhalten antreiben und welche Rolle Trauer dabei spielt - Oder: Eine ganz dicke Empfehlung für Eltern, die ihren Kindern einen Bezug zu ihrem Innenleben vermitteln wollen

Wir Zähs lieben den Film «Alles steht Kopf» von Pixar/Disney – nicht nur wegen all der witzigen Szenen, die auf spielerische Art und Weise Eingang in unseren Familienalltag gefunden haben, sondern auch wegen all den kleinen und grossen Weisheiten und Einsichten, die er vermittelt.

Im Film begleiten wir die elfjährige Riley von ihrer Geburt bis hin zur ersten grossen Krise in ihrem Leben – dem Umzug von Minnesota nach San Francisco. Wir tun das aber nicht von aussen, sondern von innen, denn wir sehen, was IN Rileys Kopf vorgeht. Dort in der Zentrale versammeln sich die fünf Emotionen Freude, Wut, Angst, Kummer und Ekel um ein Schaltpult und lotsen Riley durch den Alltag, in dem sie ihr Emotionen «geben».

Die Hauptaussagen

Dieses Setting wird ganz behutsam eingeführt mit Rileys ersten Lebenstagen und den zwei Emotionen Freude und Kummer, so dass nicht nur klar wird, wie das genau funktioniert mit dem Schaltpult in der Zentrale – es ist auch offensichtlich, dass die Emotionen immer für und nie gegen Riley arbeiten: Jede einzelne engagiert sich dafür, dass es ihr gut geht.

Was für eine Botschaft! Und was für eine wunderbar verspielte Art und Weise, um unseren Kindern zu vermitteln, dass das, was da manchmal in ihnen tobt, völlig in Ordnung ist, und dass es einen Grund gibt dafür!

Der ganzen Geschichte zu Grunde liegt aber noch eine viel basalere Aussage: Es sind Emotionen, die unser Verhalten antreiben. E-motionen sind Energy-in-motion (Energie in Bewegung) - sie wühlen uns auf und bringen uns dazu, aktiv zu werden.

Und ganz besonders freut mich, dass es Disney/Pixar gelungen ist, die Wichtigkeit von Trauer (in der deutschen Fassung mit «Kummer» nicht ganz präzise übersetzt) hervorzustreichen. Bis weit über die Hälfte des Films hinaus fristet Kummer nämlich ein kümmerliches Dasein - oder in Freudes Worten: «Das ist Kummer. Sie, sie… keine Ahnung, was sie macht. Und, ich hab’s überprüft - sie kann sonst nirgends hin.» - Doch dann, in einer der Schlüsselsituationen des Films, schafft Kummer was Riley nicht hinkriegt: Sie hilft Bingbong, Rileys vergessenem Phantasie-Freund, über einen herben Verlust hinweg, so dass er wiederum die Kraft findet, um Freude und ihr aus der Patsche zu helfen:

 

Leider habe ich diese Szenze nur auf Englisch gefunden (ab etwa Minute 47 im Film)

 

Diese Szene bereitet uns wunderbar auf den Höhepunkt der Geschichte vor (ab etwa 1h 15): In einer schier ausweglosen Situationen, in der Rileys Schaltpult eingefroren ist, sie nichts mehr fühlt («Wir können ihr gar kein Gefühl mehr geben!») und von Zuhause weggelaufen ist, überlässt Freude Kummer zum ersten Mal die Führung - und das ist die Wende: Kummer kann das Schaltpult enteisen und indem sie Riley Trauer zum Fühlen «gibt», findet diese wieder zu ihren Gefühlen zurück, erwacht aus ihrer Trance, springt aus dem Greyhound Bus und findet den Weg zurück nach Hause.

So erkennt Riley und mit ihr Freude, dass Glück & Tränen, Freude & Kummer zusammen gehören und zwei Seiten derselben Medaille sind. Das zeigt sich auch ganz wunderbar zum Schluss des Films, als Riley ihren Eltern unter Tränen ihre Verzweiflung, ihre Trauer und ihr Heimweh offenbart - und dann in den Armen ihrer Eltern auch ein Stück Erfülllung findet.

 
 

So viel zu den grossen Weisheiten. Der Film wartet aber noch mit anderen Einsichten und Details auf, die ich in meinen Kursen aufgreife, und die hier für gross und klein so wunderbar verbildlicht werden. Hier eine kleine Sammlung:

Weitere wunderbare Szenen…

… die für regelmässige Podcast-Hörer:innen oder Kursabsolvent:innen sicher Sinn machen und die wir gut und gerne mit unseren Kindern diskutieren und in unseren Alltag einweben können:

  • Ganz zu Beginn sehen wir, dass Riley als Kleinkind nur eine Emotion gleichzeitig wahrnehmen kann. Illustriert wird das wunderbar anhand dieser einen Szene am Tisch: Zuerst ist Ekel am Drücker, dann Wut und - als Spiel die Situation rettet - plötzlich wieder Freude:

 
 

Das «Oh, wir haben ein Flugzeug» brauchten meine zwei grösseren Kinder übrigens öfters, wenn wir eine ähnliche Situation mit unserer Jüngsten mit Spiel entschärfen konnten. Und auch ich konnte mit Bezug auf diesen Film den Kindern vermitteln, dass kleine Kinder (oder getriggerte Grosse) nur eine Emotionen wahrnehmen können und deshalb auf unser Verständnis angewiesen sind.

  • Eine weitere Szene, die Eingang in unsere Familien-Sprache gefunden hat, ist der Morgen vor Rileys erstem Tag an ihrer neuen Schule in Kalifornien (ab Minute 20): Freude hüpft da nämlich vor lauter Aufregung hypernervös und Akordeon spielend durch die Kommandozentrale und scheucht alle anderen herum. Ein wunderbares Bild, um Kindern in ähnlichen Situationen einen Einblick in ihr Inneres zu geben oder den jüngeren Geschwister zu erklären, was gerade mit der grossen Schwester los ist («Keine Sorge, das geht vorbei - Freude spielt nur gerade Akordeon in ihr drin»).

 

Auch diese Szene habe ich nur auf Englisch gefunden - ich denke aber, sie spricht auch für Leser:innen ohne Englischkenntnisse Bände

 

Wie die Wut das Schaltpult übernimmt und unsere Knöpfe drückt, wird in dieser Szenze hier (ab Minute 27) wunderschön dargestellt. Schöner kann man Kindern, die ab und an explodieren, nicht darstellen, was das gerade in ihnen geschieht. (Gilt natürlich auch für Erwachsenen, denen es ab und an «de Deckel lupft»).

 
 



Alle, die den Teenager-Kurs besucht oder diese Podcast-Folge gehört haben, werden die Bewusstseins-Explosion zu Beginn der Adoleszenz und die daraus entstehende Verwirrung in dieser Szene wohl wieder erkennen (ab Minute 41, hier leider nur auf Englisch):

 
 

Als Riley beschliesst, davon zu laufen und nach Minnesota zurück zu kehren und hierfür gar ihre Mutter bestiehlt, erleben wir Panzerung resp. defensive Bindungsabwehr in Reinform: Riley kann ihre Emotionen nicht mehr fühlen, ist völlig blockiert und ihre Persönlichkeitsinsel brechen eine nach der anderen ein. Für die Begleitung von Kindern, die (schon mal) in solchen Situationen steck(t)en ist diese Szene (ab etwa Minute 60) goldwert, finde ich - und dann natürlich auch der Lösungsweg via das Fühlen von Trauer (siehe oben).

 
 
  • Während Riley als Säugling noch über einen ganz rudimentäres Schaltpult (ein grosser Knopf – mehr nicht) verfügt, wird dieses bereits in der Kleinkindphase etwas komplexer. Doch bis zur Pubertät ganz am Ende der Geschichte kann Riley nur eine Emotion gleichzeitig wahrnehmen. Mit dem Meistern der grossen Krise und dem Eintritt in die Pubertät wird das Schaltpult - die «Konsole» - dann ausgebaut (ab etwa 1h 24) und ganz zum Schluss verfügt Riley über die Möglichkeit, mehrere Gefühle gleichzeitig wahrzunehmen und zu mischen. Das sollte aus unserer Sicht schon viel früher (ab etwa 6 Jahren) möglich sein, zuerst zaghaft und dann immer öfterst - illustriert ist es hier aber wunderbar!

 
 

Ganz nebenbei wird zum Schluss erwähnt, dass die neue Konsole auch einen Knopf «Pubertät» hat («Hej Leute, was ist Pubertät?» - «Keine Ahnung, ist wahrscheinlich nicht wichtig…»). Und da liegt - wie wir jetzt wissen - der Hinweis auf den lang erwarteten «Alles steht Kopf 2» versteckt, der ganz offensichtlich diesen Sommer in die Kinos kommt - mit ganz vielen neuen Emotionen, die Riley in der Pubertät fluten.

Auf diesen Film freue ich mich schon mindestens so sehr wie meine Kinder!

 

Bild: Familie Zäh

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